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cover of the book Democracy from scratch: opposition and regime in the new Russian Revolution

Ebook: Democracy from scratch: opposition and regime in the new Russian Revolution

Author: M. Steven Fish

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27.01.2024
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M. Steven Fish hat Neuland beschritten, indem er erstmals die eigenartige Entwicklung russischer unabhängiger sozialer und politischer Gruppierungen in der Sowjetunion unter Gorbatschow in eine komparatistische Rahmentheorie eingebettet hat. Die Enstehung einer unabhängigen Zivil- und politischen Gesellschaft in Rußland ist zuvor schon zahlreich dokumentiert und beschrieben worden. Explizite und umfassende Erklärungsschemata für die zunächst stürmische Parteiengenese von ca. 1989 bis 1991, allerdings später immer deutlicher werdendere Fragilität dieser neuen politischen Landschaft sind bisher jedoch kaum vorgelegt worden. Zur Begründung der spektakulären organisatorischen Ineffektivität, programmatischen Abgehobenheit und ideologischen Haarspalterei der vielen neuen russischen Parteien der frühen 1990er sind bislang wenig mehr als fragwürdige Spekulationen über den unmündigen Nationalcharakter der Russen oder über die Auslöschung ihrer politischen Kultur durch das bis zuletzt "totalitäre" Regime hervorgebracht worden. Fish liefert hier ein wesentlich differenzierteres Bild und schildert mit viel Empathie und theoretischer Finesse, warum die erste Welle der Parteineugründungen von 1988 bis 1991 zum Scheitern verurteilt war.
Zwei wohldurchdachte Argumente stechen aus Fishs Begründung heraus. Erstens weist er darauf hin, daß die sogenannten "Neformaly" (wörtlich: Informellen) - also die eigentlich verbotenen, aber nichtsdestostrotz geduldeten neuen politisch und sozialen Gruppen - der zweiten Hälfte der 1980er und die neuen Parteien der frühen 1990er im Prozeß ihrer grundsätzlichen Identitätsfindung und politischen Selbstverortung nur beschränkt auf tradierte Handlungs- und Denkmuster, wie etwa auf den Hintergrund einer Dissidentenbewegung, zurückgreifen konnten. Anders als in den Ländern Ostmitteleuropas, spielten Dissidentennetzwerke und andere alternative nichtstaatliche Institutionen nur eine beschränkte Rolle im politischen Leben der UdSSR vor 1985. Die sich selbst oft explizit als "Parteien" bezeichnenden neuen Gruppierungen mußten somit bei der Formulierung ihrer politischen Ziele, Programmatik und Rolle im gesellschaftlichen Leben des Landes tatsächlich bei Null - "from scratch" - anfangen. Damit war ihr Reifungsprozeß in gewisser Hinsicht demjenigen der neuen, ebenfalls traditionslosen und lange organisatorisch ineffektiven Grünen Parteien Westeuropas der 1970er-1980er in mancher Hinsicht ähnlich. Die neuen russischen "Parteien" waren in ihrer Anfangsphase somit oft keine vollentwickelten Parteien im herkömmlichen Sinne, also pragmatische, um politische Macht ringende Organisationen. Sie sollten dies zunächst auch in erster Linie gar nicht sein. Vielmehr dienten die "Parteien" und ihre häufigen und langandauernden Kongresse und Konferenzen zunächst als Foren einer ideel-politischen Selbstvergewisserung der einzelnen Mitglieder, der kollektiven Identitätsbestimmung nach innen sowie der Abgrenzung gegenüber politischen Konkurrenten nach nach außen. Häufige Spaltungen und eine Aversion gegenüber Verschmelzung mit ideologisch nahestehenden anderen Gruppierungen waren die Folge. Prominentestes Beispiel war das vom Westen mit viel Bedauern beobachtete Scheitern der Vereinigung der Republikanischen und Sozial-Demokratischen Partei Rußlands. Obwohl beide Parteien ideologisch nahezu deckungsgleich waren und den offensichtlichen organisatorischen Nutzen des zunächst ernsthaft anvisierten Zusammengehens scheinbar verstanden, spielte die Wahrung der neugewonnenen Identität eine letztendlich größere Rolle als politische Pragmatik. Die aus der Demokratischen Plattform der KPdSU hervorgegangene Republikanische Partei wollte ihre neugewonnene Selbstidentifikation als progressive Avantegarde der intellektuellen Elite des Sowjetstaates nicht aufgeben. Die SDPR ihrerseits wollte ihren Status als alternative linke, explizit oppositionelle Partei ohne KPdSU-Vergangenheit nicht aufs Spiel setzen.
Die zweite Besonderheit der russischen Transformation war, daß eine breit angelegte Demokratisierung auf Landesebene noch vor dem Abschluß einer Reihe elementarer Liberalisierungsmaßnahmen einsetzte. Anders als in den Transitionen in Südeuropa, Lateinamerika oder Ostasien hatten politisch ambitionierte Persönlichkeiten in Rußland die Chance, sich insbesondere in Legislativorgane verschiedener Ebenen wählen zu lassen, noch bevor oder schon kurz nachdem sie die Möglichkeit erhalten hatten, sich politische zu organisieren. Nach der Wahl einiger der bekanntesten russischen Demokraten in die Volksdeputiertenkongresse sowie Regional- und Stadtsowjets beziehungsweise sogar in Exekutivorgane (Jelzin, Popow, Sobtschak) waren diese wichtigen Führer weitgehend für den Aufbau einer unabhängigen Zivilgesellschaft und Parteienlandschaft verloren. Und dies, obwohl die UdSSR und RSFSR Deputiertenkongresse und Sowjets zumindestest bis zum August 1991 in ihren Kompetenzen beschränkt waren und somit eher als Sprechtribüne für verschiedene politische Kräfte, denn als relevante Entscheidungsorgane fungierten.
Fishs fruchtbare Kombination einer Vielzahl von sowjetologischen und komparatistischen theoretischen Erkenntnissen mit gründlichen Vor-Ort-Recherchen und teilnehmenden Beobachtungen stellt zweifellos einen Meilenstein in der Aufarbeitung der neuen russischen Revolution am Ende dieses Jahrhunderts dar.
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