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Ebook: Die deutsche fünfte Kolonne im Zweiten Weltkrieg

Author: Louis de Jong

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30.01.2024
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FÜNFTE KOLONNE
Der Krieg im Dunkeln
Als Adolf Hitlers großdeutsche Soldaten im Frühjahr 1940 Norwegen besetzten, kabelte Leland Stowe, Sonderkorrespondent der "Chicago Daily News" seiner Heimatredaktion einen sensationellen Bericht, der Millionen Amerikaner schockierte. Orakelte Stowe: "Ich glaube, daß dies die wichtigste Meldung ist, die ich jemals zu schreiben Gelegenheit hatte. Sie schreit förmlich danach, mitgeteilt zu werden."
Was Leland Stowe nach Chicago kabelte, war ein Geheimnis, dem er jedoch auf die Spur gekommen zu sein glaubte. Stowe: "Die Hauptstadt und die großen Häfen Norwegens wurden von den Deutschen nicht mit Waffengewalt erobert. Sie wurden in beispielloser Schnelligkeit mittels einer riesigen Verschwörung genommen, die zweifellos zu den kühnsten politischen Intrigen der letzten hundert Jahre zählt."
Der Amerikaner Stowe übersah dabei freilich, daß sich in den Zeitungsarchiven schon seit Jahren Berichte häuften, in denen Hitlers internationale Verschwörung mit beklemmenden Details beschrieben wurde. Der Bericht des Leland Stowe war nur der eigenwilligste Beitrag zu jenem Produkt antifaschistischer Furcht und Panik, dem der spanische Bürgerkriegs-General Emilio Mola ahnungslos einen zündenden Namen verliehen hatte: die Fünfte Kolonne.
Als General Franco im September 1936 mit einem nationalen Rebellenheer zur Belagerung Madrids aufbrach, düpierte sein Gefolgsmann Mola die Rotspanier in der Hauptstadt mit einer martialischen Drohung. "Vier Kolonnen", so prahlte der General, "marschieren gegen Madrid, aber die fünfte ist bereits in der Stadt." Und die KP-Zeitung "Mundo Obrero" zählte sogleich auf, wer zu dieser Fünften Kolonne gehöre: "die Spitzel, Gerüchtemacher und Defätisten - Leute, die in ihren Verstecken auf den Befehl warten, der sie auf die Straßen hinaustreibt".
Damit war ein Schlagwort geboren, das in kurzer Zeit alle Völker heimsuchte, die sich von faschistischen Aggressionsplänen bedroht fühlten. Das Schlagwort von der "Fünften Kolonne" verlor sein spanisches Copyright und erweiterte sich zu der gespenstischen Verräter-Internationale des großdeutschen Führers, die stets bereit schien, den braunen Soldaten die Tore der Festungen von innen zu öffnen.
Die Polen, die Franzosen, die Holländer, die Norweger, die Jugoslawen - sie alle glaubten mit dem amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt an die "verräterische Verwendung der Fünften Kolonne" und an die Intrigen jener "Personen, die als friedliche Bürger galten, in Wahrheit aber Bestandteil einer feindlichen Besatzungsmacht waren".
Indes, solcher Glaube an die Allmacht der Fünften Kolonne ist jüngst von einem niederländischen Historiker erschüttert worden: Louis de Jong, Leiter des niederländischen Staatsinstituts für Kriegsdokumentation in Amsterdam, weist in seinem Buch "Die deutsche Fünfte Kolonne im Zweiten Weltkrieg"** nach, daß ihre Tätigkeit auf wenige Fälle militärischer Spionage beschränkt blieb. Im Grunde sei die Fünfte Kolonne vorwiegend ein Phantasieprodukt nationaler Beklemmung gewesen.
Der moderne Mensch - so psychologisiert de Jong - reagiere auf den Krieg mit Furcht, Aggressivität und einem Gefühl von Hilflosigkeit. Von solch innerer Spannung könnte sich der Mensch nur befreien, wenn er "im eigenen Kreise eine Person entdecken würde, die als feindlich abgestempelt werden könnte. Dann würde die Furcht ihren unbestimmten Charakter verlieren, die Aggressivität würde ein Ziel finden und Hilflosigkeit und Ungewißheit würden durch eine unmittelbare Aufgabe aufgeschoben werden: durch einen Angriff auf den Feind in den eigenen Reihen".
So sei schließlich das Gespenst der Fünften Kolonne entstanden, ein Gebilde aus Dichtung und Wahrheit. Denn: "So übertrieben die allgemeine Vorstellung von der Fünften Kolonne auch gewesen war, so war sie doch teilweise zutreffend. In Polen hatten Volksdeutsche auf polnische Trupgen geschossen, in Dänemark hatten deutsche Nationalsozialisten den Invasionstruppen geholfen, in Amerika waren Saboteure gelandet. Daß die Menschen diese und ähnliche Unternehmungen nicht in ihren wirklichen Proportionen sahen, kann uns nicht überraschen."
Wirklich überraschen konnte den Historiker de Jong nur, daß noch kein alliierter Geschichtsschreiber gewagt hatte, die Legende von der deutschen Fünften Kolonne auf ihren tatsächlichen Gehalt zu untersuchen. So nutzte der Holländer die Gelegenheit, als ihm ein Zweigunternehmen der Unesco 1949 anbot, eine Studie über die Fünfte Kolonne Hitlers zu schreiben.
An Hand des reichhaltigen Materials, das ihm als Chef des niederländischen Staatsinstituts für Kriegsdokumentation zur Verfügung stand, durchforschte de Jong nahezu alle Länder, die jemals von deutschen Kommißstiefeln betreten worden waren. Er fand, daß die meisten Berichte über die Tätigkeit nazistischer Agenten unbegründet und nur Produkte einer überhitzten Phantasie waren. Das weist der Historiker am Beispiel seines eigenen Vaterlandes überzeugend nach.
Millionen biederer Holländer waren in Mai 1940 des Glaubens, daß der überraschend schnelle Vormarsch der deutschen Truppen in den Niederlanden von Saboteuren und Verrätern ermöglicht worden sei. Deutsche und holländische Nazis - so raunten sich die Menschen zu - hätten die Verteidiger des Vaterlands aus dem Hinterhalt beschossen; geheimnisvolle Lichtsignale sollen den deutschen Fallschirmtruppen, die in allen möglichen Verkleidungen erschienen seien, den Weg gewiesen haben.
"Die Vielzahl ihrer Verkleidungen ist unglaublich", erklärte der niederländische Botschafter in London, während Außenminister van Kleffens behauptete, die deutschen Fallschirmjäger seien "zu Tausenden in alliierten Uniformen, im Priestergewand und als Nonnen oder Krankenschwestern verkleidet" über Holland hergefallen.
Die Gerüchtewelle über die Fünfte Kolonne aber erhöhte nur die Verwirrung in den eigenen Reihen. De Jong erzählt von Berichten, wonach "der Feind holländische Uniformen mißbrauche. In Den Haag gab es Soldaten, die daraufhin von ihren Uniformen die Rangabzeichen entfernten. Darauf würden die Deutschen bestimmt nicht vorbereitet sein! Die Folge war jedoch, daß sie von andern Soldaten, die das nicht getan hatten, für verkleidete Deutsche gehalten wurden".
Der niederländische Historiker entdeckte bei seinen Nachforschungen, daß sich die Deutschen zwar tatsächlich holländischer Uniformen bedient haben, aber nur in einem Falle zu Beginn ihrer Offensive. Die deutsche Abwehr hatte eine Truppe in Stärke von 1000 Mann aufgestellt, die -in holländische Uniformen gekleidet - den Auftrag hatte, in der Nacht des Offensivbeginns die niederländischen Grenzbrücken zu erobern. Der Angriff trug zu dem schnellen Zusammenbruch der vordersten niederländischen Verteidigung bei.
De Jong fand auch Beweise dafür, daß sich Hitlers Abwehr sofort nach Beginn des Westfeldzugs aller holländischen Führer bemächtigen wollte: "Die Königin, Ministerpräsident De Geer, Verteidigungsminister Dijxhoorn und der Oberbefehlshaber von Heer und Marine sollten alsbald isoliert und das Hauptquartier in Den Haag besetzt werden." Obwohl bereits eine deutsche Agentengruppe in der Metropole arbeitete, mißlang das Kidnapper-Unternehmen.
Dem deutschen Botschaftsattaché Otto Butting, Führer der "Reichsdeutschen Gemeinschaft" in den Niederlanden, war es auch gelungen, unter Holländern und Deutschen Spione für Hitler anzuwerben. De Jong schätzt jedoch, daß ihre Zahl "kaum größer als ein paar Dutzend, vielleicht nicht mehr als zwanzig war". Manche Reichsdeutsche in den Niederlanden hätten zwar den vormarschierenden Wehrmachtstruppen geholfen, "doch sollte man daraus nicht schließen, daß eine solche Zusammenarbeit vorher vorbereitet worden war".
Abgesehen von diesen wenigen Fakten aber hält Louis de Jong die Berichte über die deutsche Fünfte Kolonne für Erfindungen erschrockener Bürger, denen die Niederlage ihres Landes unbegreiflich war. Urteilt er: "Es gibt keine Anzeichen dafür, daß
- "die Deutschen anderswo als in der Nähe der Grenze holländische Uniformen verwendet haben,
- "Reichsdeutsche, die in Holland lebten, als Partisanen oder Saboteure aufgetreten seien,
- "planmäßig Lichtsignale gegeben wurden oder ,große Figuren in Hakenkreuzform' verbrannt oder
,an besonderen Stellen, die augenscheinlich demnächst von den Deutschen angegriffen werden sollten', in den Boden gegraben wurden."
Nicht ohne Spott verweist de Jong das Gros der Berichte über die Fünfte Kolonne in das Fabelreich: "Lichtsignale erweisen sich bei näherer Prüfung als das Flackern einer Kerze, als Folge eines im Wind flatternden Vorhangs. Oder man besetzt ein Haus und stellt fest, daß das vermeintliche Maschinengewehr eine Fahnenstange ist. Das kritische Denkvermögen der meisten Menschen treibt auf dem Strom der Empfindungen und Überzeugungen dahin."
Eine solche Erkenntnis bewahrt denn auch den niederländischen Historiker vor der Erwartung, mit seiner Studie nun der Legende von der deutschen Fünften Kolonne den Todesstoß versetzt zu haben. Bekennt Louis de Jong: "Diese Studie hat mich davon überzeugt, wie begrenzt die menschliche Urteilskraft ist."
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